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Orbe Logbuch

Von Liliane Waldner
Durch wehendes Gras Orbe entgegen!
Einführung in die Orbe

Die Orbe tritt unter verschiedenen Namen auf, als Orbe, La Thielle oder Zihl. Bei Biel besteht ein Zihlkanal, ebenso zwischen dem Bielersee und Neuenburgersee. Dort nimmt sie auch den französischen Namen La Thielle auf. Als La Thielle mündet sie in Yverdon-les-Bains in den Neuenburgersee. Oberhalb der Mündung von Le Talent in die Orbe nahe des Städtchens Orbe wird sie Orbe genannt.

Die Länge der Orbe wird je nach Quelle unterschiedlich angegeben: Das Bundesamt für Umweltschutz gibt sie auf der Liste der Fliessgewässer mit 30 Kilometern und mehr Länge mit 50 Kilometern an. Wikipedia nennt auf einer Tabelle, die Orbe/Zihl kombiniert, 118 Kilometer sowie in der Text-Beschreibung 67 Kilometer Länge.

Ich schlage vor, Orbe/La Thielle/Zihl als Ganzes als Fluss-System zu definieren. Dann dürften 118 Kilometer Länge zutreffen. Die Orbe hat demnach zwei Fluss-Quellen: Die ursprüngliche Quelle liegt bei Les Rousses auf etwa 1160 m.ü.M. im französischen Jura. Sie versickert unterhalb Lac de Joux oder Lac Brenet im Karst und tritt oberhalb von Vallorbe bei der Source de l’Orbe wieder aus dem karstigen Fels aus. Sie mündet bei Yverdon-les-Bains auf 429 m.ü.M. als La Thielle in den Neuenburgersee und erscheint wie oben beschrieben nochmals in Form der beinen Zihlkanäle. Voilà, die Orbe ist eine kapriziöse Französin!

Mehr über die Orbe:
https://de.wikipedia.org/wiki/Orbe_(Fluss)

31. Juli 2015: Yverdon-les-Bains - Orbe

Ich wähle den direkten Weg entlang des Flusslaufes nach Orbe. Auf einer alten Karte von Kümmerli + Frei aus dem Jahr 1982 ist auf der Ostseite noch ein Wanderweg entlang des Flusses eingezeichnet. Dieser fehlt auf der Auflage aus dem Jahr  2011. Weil auf der Westseite noch bis auf die Höhe des Aérodromes hinaus ein Strässchen und Feldweg eingezeichnet sind, folge ich dieser Seite. Am Ende des Strässchens entdecke ich, dass es möglich ist, auf einem breiten Wiesenband weiter flussaufwärts zu gehen.

Dank meiner Stöcke kann ich gut durch das hohe Gras und auf dem mehr oder weniger  holprigen Grund gehen. Dies ist ein prima Koordinationstraining und erinnert mich an das ebenfalls kräftigende Winterwandern. Eine Alternative wäre die kulturell interessante Via Francigena (Pilgerweg Canterbury - Rom) gewesen. Dort hätte ich jedoch häufiger über gepflasterte Wege gehen müssen. Die Route dem Fluss entlang ist kürzer, aber wegen dem hohen Gras anstrengender. Hohes Gras bremst den Gang deutlich. Nichtsdestotrotz gelange ich in einen Rhythmus und schreite unverdrossen voran. Die recht zügige Bise weht das hohe Gras hin und her. Wäre es nicht so trocken, dann wäre dieser Weg tief und nicht zu empfehlen. An einer Stelle wird der Orbe Wasser für die Bewässerung der Felder entnommen.

Bald sehe ich Orbe und seine Stadttürme vor mir und ich hoffe, auf dem Wiesen-Streifen direkt in die Stadt marschieren zu können. Der Gras-Band wird nach einer Brücke dünner und ein stattliches Landgut erscheint zu meiner Rechten hinter dem Ufer-Damm. Ich wundere mich über die Grösse des Hofes, sehe über der Bordkante etwas von einem Holz-Betrieb und höre Kuhglocken bimmeln, als ein Auto aufkreuzt. Diesem entsteigt ein Sicherheits-Mann. Er erklärt mir, dass hier ein Gefängnis sei. Ich steige mit seiner Hilfe auf das Steile Bord hinauf und sage ihm, ich hätte gedacht, es sei ein grosser Bauernhof. Das Gefängnis heisst Pénitencier-de Bochuz. Er weist mir den Weg zurück zur Brücke. Dort öffnet ein Wachmann das Tor, damit ich auf die andere Fluss-Seite gelangen kann.

Dann fühle ich, dass Zeit für eine Rast ist und will mich auf ein niedriges Mäuerchen neben der Brücke setzen. Der Wachmann ist ein Gentleman. Er bringt mir aus dem Wachhäuschen einen Stuhl. Gut betreut vom Waadtländer Gefängnis raste und erhole mich. Wir unterhalten uns. Der Job als „Schildwache“ ist für den Wachmann nicht der spannendste. So ist mein Besuch für ihn vermutlich eine nicht ganz unwillkommene Abwechslung. Er erzählt, dass sonst noch Fischer vorbeikommen.

Nach der Rast strebe ich Orbe zu und komme tatsächlich an zwei Fischern vorbei. Bald nach dem Nespresso-Werk gelange ich nach der Brücke in die Altstadt von Orbe, steige auf den Schlosshügel mit seinem markanten Turm und geniesse vom Schlossplatz aus eine gewaltige Panoramasicht in die Alpen sowie in den Jura. Ich sehe bereits den Einschnitt beim Jura-Gebirge Richtung Orbe-Schlucht. Als Kuriosum entdecke ich einen Stein, der auf ein 558 Kilometer entferntes Bad Orb hinweist. Dieses liegt im Spessart. Orbe ist ein reizvolles Städtchen mit kleinen Spezialitätenläden und Strassencafés in der Altstadt. Die Postauto-Haltestelle liegt direkt im Ortskern auf dem Altstadt-Hügel.

Ohne „Gefängnisaufenthalt“ dürfte die Strecke in gut dreieinhalb Stunden zu schaffen sein, allerdings nur bei ganz trockenen Verhältnissen. Auf der Via Francigena dauert es 3 Stunden 50 Minuten. Dabei passiert man das von weitem sichtbare Schloss Chamblon und die Römischen Mosaiken.

Links:
http://www.vd.ch/themes/securite/penitentiaire/etablissements-penitentiaires/etablissements-de-la-plaine-de-lorbe/
http://www.swisscastles.ch/Vaud/chateau/chamblon_d.html
http://www.swisscastles.ch/Vaud/chateau/orbe_d.html
http://www.orbe-tourisme.ch/de/Culture_Patrimoine/Romische_Mosaiken
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3. August 2015: Orbe - Vallorbe

Ich steige vom Zentrum nahe der Post Orbe zum Fluss ab. Das Wanderwegschild gibt die Zeit mit 4 Stunden 40 Minuten an. Am Fluss unten erklärt eine Tafel, dass Nestlé in Orbe den ersten wasserlöslichen Kaffee (Instant-Kaffee) der Welt hergestellt habe. Ich bin froh, auf der letzten Etappe das industrie-historisch wichtige Nestlé-Werk fotografiert zu haben.

Bald nach dem Kraftwerk Orbe steigt der Wanderweg nach Montcherand an. Der Ort mit der romanischen Kirche war auf die Kluniazenser ausgerichtet. In Montcherand kreuzen sich Via Jacobi und Via Francigena. Nach dem Waldstück führt ein schöner, bewaldeter Weg in die Orbe-Schlucht. Diese hat sich tief in die Schlucht eingefressen. Durch die Bäume blitzt der kalkige Fels an den Steilhängen. Wer in die Tiefen der Schlucht steigen will, kann vom linken Ufer (rive gauche) über eine Passerelle zum rechten Ufer-Weg wechseln. Der Abstieg ist sehr steil und entspricht einem T2-Bergwanderweg. Ich gehe langsam und vorsichtig hinab. Bei feuchten Verhältnissen empfehle ich, auf dem leichter erscheinenden Weg auf dem linken Ufer nach Les Clées zu bleiben. Der Aufstieg am rechten Ufer ist kurz und der weitere Wegverlauf ebenfalls ruppig. Einige Wegabschnitte sind trotz heisser, trockener Sommerperiode überraschend feucht. Die Brombeeren an den Sträuchern sind noch lange nicht reif, was zeigt, dass das lokale Klima an diesem Ufer feucht und kühl ist. Für einen heissen Sommertag wie heute ist es prima.

Ich raste bei den letzten Häusern von Les Clées auf der rechten Seite nach dem Werkhof einer Firma. Nach einem Parkplatz geht der Waldweg durch die Schlucht-Landschaft weiter. Leider erwische ich vor dem Saut-du-Day den falschen Weg und lande direkt in Le Day. Dafür komme ich nach Le Day zum Eisenbahnviadukt, von dessen Fussgänger-Weg ich einen grandiosen Tiefblick zur Orbe und die Mündung der aus Frankreich kommenden La Jougnena erhalte. Ich erblicke bereits die markanten Kreten des französischen Jura.

Der Weg steigt nach dem Brückenpfeiler auf der rechten Seite steil zur Orbe ab. Am noch flacheren Anfang mit dem weichen Waldboden mache ich eine Bauchlandung. Es ist am Knie nur ein kleiner Blätz ab. Ich muss von Zeit zu Zeit mit solchen Bauchlandungen und kleineren Schrammen oder Prellungen rechnen und damit leben. Mit Hilfe meiner ärztin kontrolliere ich deshalb den Vitamin-D3-Gehalt und ich esse viel Käse. Dank dem täglichen Turnen bin ich beweglich.

Unten setzt sich der Weg durch eine verträumte Schilflandschaft entlang des sanften Flusses nach Vallorbe fort. In Vallorbe komme ich auf dem Weg zum Bahnhof an historischen Industriebauten, dem Museum für Eisen und Eisenbahn, samt seinem Park sich drehenden Wasserrädern und dem Zentrum vorbei. Vallorbe ist früher ein Standort der Eisen-Industrie gewesen.

Links:
http://www.orbe-tourisme.ch/de/Culture_Patrimoine/Activites_visites/kirche-von-montcherand
http://www.orbe-tourisme.ch/de/nature/gorgesdelorbe
http://www.museedufer.ch/de
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28. August 2015: Vallorbe - Les Charbonnières

Von Vallorbe geht es praktisch eben bis zum Eingang der Orbe-Grotte unterhalb einer Felswand. Wie aus einem Maul entspringt die Orbe dem karstigen Fels. Der Eintritt in die Grotte kostet CHF 15.00. Ich bin die erste Besucherin, für die die Kioskfrau die Eingangstür aufschliesst und die Lichtanlage aktiviert. Sie drückt mir einen Schnellhefter mit der Erklärung der einzelnen Stationen in die Hand. Bewegungsmelder knipsen die Lampen an. Daneben gibt es noch Lichtschalter, um die Räume zu erhellen. Höhepunkt ist der unterirdische Strom der Orbe. Es ist der grösste unterirdische Fluss Mitteleuropas. Die Kathedrale bietet auf Knopfdruck eine Ton-Lichtschau, die mich etwas an Sounds an Lights bei den Pyramiden erinnert. Nur spricht in der Orbe-Grotte niemand einen Text zur Musik. Die Natur spricht für sich, am stärksten durch das natürliche Rauschen der Orbe. Am Schluss folgt der Schatz der Feen, eine wunderbare Mineralien- und Fossiliensammlung. Natürlich ist auch die Orbe-Grotte sagenumrankt. Die Säle und Galerien mit ihren bizarren Formen der Natur könnten jede Hollywood-Kulisse eines Schatzjägerfilmes in den Schatten stellen. Mit etwas Fantasie und der Sagenwelt können wir uns die Hollywood-Filme ab Laufband ersparen. Die Realität bietet ein echtes Erlebnis.

Die Kiosk-Frau stellt erstaunt fest, dass ich es anderthalb Stunden lang in der Grotte ausgehalten habe. Danach brauche ich einen warmen Kaffee, stärke mich mit meinem Trockenfutter aus dem Rucksack und etwas Marschtee.

Dann folgt der nächste Höhepunkt. Ich steige auf einem wunderbaren, steilen Wanderweg zum Mont d‘Orzaires und Col du Mont d’Orzaires auf. Dabei komme ich an der Grotte aux Fées vorbei. Sie ist nicht öffentlich zugänglich und gemäss Tafel von Fledermäusen bewohnt. Auf dem Mont d’Orzaires kann der Jurapark mit seinen Wild-Tieren besichtigt werden. Die Besichtigung ist im Gegensatz zum Tierpark Langenberg bei Zürich gebührenpflichtig. Vielleicht haben sie im Jura keine potenten Sponsoren gefunden, um das Ganze gratis anzubieten. Etwas unangenehm ist es, auf dem schmalen Pfad entlang des Drahtzaunes entlang zu gehen. Ich muss mich konzentrieren, weill es stellenweise Stacheldraht gibt.

Danach steige ich zum lieblich gelegenen Lac Brenet ab. Dort sehe ich wieder das Wasser der Orbe. Es versickert im Bereiche des Lac Brenet und Lac de Joux im Grund und tritt nach seiner unterirdischen Reise bei den Grotten an die Oberfläche. Der Fluss überwindet so im Grunde genommen eine Wasserscheide, um in ein grösseres Flusssystem sowie das Meer zu gelangen, im Falle der Orbe den Rhein und die Nordsee. Ein Teil seines Wassers wird für Elektrizitäts-Gewinnung genutzt, denn unterhalb der Orbe-Grotten liegt ein Kraftwerk, zu dem Druckleitungen führen.

Am See mache ich nochmals eine Teerast und gehe danach nach Le Pont. Beim Bahnhof begreife ich, warum der Ort Le Pont heisst. Links erstreckt sich der Ort am Ufer des Lac de Joux, rechts leuchtet das Blau des Lac Brenet. Ich stehe auf einer Landbrücke.

Weil ich gelesen habe, dass in Les Charbonnières ein Musée du Vacherin steht, laufe ich noch die 20 Minuten in den Ort am Lac Brenet. Ich stelle fest, dass das Museum nur auf Anmeldung von Gruppen geöffnet ist. Hundert Meter weiter oben betreibt der Besitzer einen Laden, wo ich Käse kaufen kann. Ich werde vom würzigen Vacherin d’Alpage im ICN nach Zürich zum Vesperbrot kosten.

Links:
https://grottesdevallorbe.ch/de/
http://www.juraparc.ch/de/
https://www.myvalleedejoux.ch/de/P477/das-museum-des-vacherin-mont-d-or
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30. August 2015: Le Pont - Le Brassus

Auf meiner ICN-Fahrt nach Yverdon erlebe ich so viele junge Romands wie nie zuvor. Tags zuvor hat in Zürich die Street Parade stattgefunden und morgens nach sechs Uhr reist ein fröhliches Partyvolk heim in die Westschweiz.

Mich beeindruckt die Weite der Landschaft auf der Busfahrt von Yverdon nach Vallorbe. Sind die Romands so weltoffen, weil das Mittelland dort so ungewohnten Weiten bietet?

In Le Pont angekommen, mustere ich zuerst die historischen Zugskompositionen der „Le Train à Vapeur de la Vallée de Joux“. Zu bestimmten Zeiten können Dampfbahnfahrten entlang des Lac de Joux unternommen werden. Danach mache ich mich auf der ruhigeren, aber steileren Hangseite auf den Weg nach Le Brassus. Am Anfang ist es allerdings nicht ruhig. Am anderen Ufer des Sees findet ein internationaler Wasserski-Wettbewerb statt, samt Motorengeheul und aufgeregter Speakerin mit ihren englischen Kommentaren. Diese Lärmkulisse wird danach von Alphornklängen abgelöst. Der Pfad ist anfänglich schmal ruppig. Danach folgt ein teils breiter Wiesenweg über den bewaldeten Rücken „Le Revers“ nach Le Lieu. Nach einer Weile geht es nach Les Esserts-de Rive hinunter. Von dort bis La Golisse findet ein reges Strandleben statt und die Einheimischen geniessen an den zahlreichen Feuerstellen ihr sonntägliches Picknick. Strandrestaurants laden zum Verweilen ein. Der Weg ist jetzt flach und meistens geteert. Ich raste ebenfalls am Strand mit Blick zum Lac de Joux.

Ich durchquere Le Sentier, wo die Weltmarken Blancpain und Jaeger Le Coultre Fabriken betreiben und sich ein Uhrenmuseum befindet. An der Hauptstrasse leuchtet die Schrift des UNIA-Gewerkschaftsbüros. Le Sentier ist ein Industrieort. Ich kaufe bei einem Bäckerei-Stand ein Brot für meine Vesper auf der langen Heimfahrt.

Der Weg nach Le Brassus quert eine Ebene mit einem renaturierten Naturschutzgebiet namens Le Campe. Die Orbe mäandriert durch dieses Feuchtgebiet in den Lac de Joux. In Le Brassus entdecke ich nahe dem Bahnhof eine Produktionsstätte der Weltmarke Audemars Piguet das Gebäude von Francois Golay, das den Charakter eines Ateliers wie zu alter Zeit hat. Zwischen diesen Betrieben liegt fast versteckt ein modernes Schauhaus, in dem das riesige Skelett eines Mamuts aus dieser Gegend ausgestellt ist. Le Brassus ist Endstation des Schweizer Eisenbahnnetzes. Offenbar ist es möglich, dass sich in einem Randgebiet eine erfolgreiche Industrie-Branche etablieren kann, deren Produkte in die Luxus-Geschäfte der Weltmetropolen finden, sofern die Voraussetzungen für einen solchen Industrie-Cluster stimmen. Das Vallée de Joux gilt als Wiege der Uhrmacherkunst. Wenn ich an die niedergegangenen Industrien an anderen Flüssen denke, so kann die Schweiz dankbar sein, dass die Unternehmerpersönlichkeit Nicolas Hayek diese Industrie in höchster Not wieder belebt und auf dem Weltmarkt neu positioniert hat. Ich habe das Glück gehabt, Nicolas Hayek persönlich begegnen zu dürfen und respektiere seine Leistung in höchsten Massen.

Die Wanderzeit zwischen Le Pont und Le Brassus wird mit vier Stunden angegeben.

Links:
http://www.ctvj.ch
https://espacehorloger.ch/de/willkommen/
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10. Oktober 2015: Le Brassus - La Cure

Ich freue mich, dass es wieder in die Westschweiz geht, obwohl ich während der letzten Zeit die MS mit starkem Kribbeln, dem Gefühl Griess in den Beinen zu haben, dem Einschlafen von Teilen der Glieder die MS wieder vermehrt gespürt habe. Ich habe mich mit Eis eingerieben, danach kalt gebadet und Hanftee getrunken. Dann bin ich früh ins Bett gegangen. Am Morgen habe ich wieder normal geturnt und bin meine mehr als 1‘000 Treppenstufen gelaufen. Dank dem dauernden Training scheint es besser zu gehen als in den früheren Jahren.

Auch beim Bahnhof Yverdon hängen die Wahlplakate. Ich blicke in das Gesicht von Sergei Aschwanden, dem Bronzemedaillengewinner im Judo an olympischen Spielen. Ich habe von ihm eine Autogrammkarte, weil ich ihm einmal an einer Managementveranstaltung zugehört habe. Er kandidiert für die Freisinnigen. Ich bin beeindruckt gewesen, wie er sich trotz Verletzungen durchgebissen und eine Olympiamedaille gewonnen hat. Solche Leute braucht das Land.

Ich geniesse noch einmal die Busfahrt nach Vallorbe. Heute ist es leider neblig und ich sehe den markanten Mont d’Or nicht. Beim Abmarsch in Le Brassus bemerke ich, dass Patek Philippe dort auch ein Werk führt.  Das Vallée de Joux ist ein Hot Spot der Uhrenmarken. Am Anfang ist der Weg nach Bois d’Amont asphaltiert. Er geht nach einem Steinbruch in einen Naturweg über. Ich entdecke Pilze und fotografiere sie. Bei der Pré Rodet passiere ich die letzte Schweizer Farm vor der Grenze. Weil es neblig ist, steige ich nicht über die Fluh von La Roche Bresenche, sondern gehe den unteren Waldweg entlang. Bei einer Baumlücke erblicke ich die Fluh, die die Grenze markiert und erfasse gleichzeitig, dass dem Waldboden entlang ein niedriger, bemooster Steinwall entlang führt. Das muss die Grenze Schweiz-Frankreich sein. Ein Schritt und ich bin in Frankreich: Allons enfants de la patrie, le jour de gloire est arrivé… Nach einigen Minuten geht der Waldpfad in ein Strässchen über und beim ersten Haus weht die Tricolore.

Ich raste auf einer Sitzbank etwa 0,6 Kilometer vor Bois d’Amont laut französischem Wanderwegschild. Dieses ist weiss, nicht so auffällig signalgelb wie die Schweizer Wanderwegschilder. Es fällt mir auf, dass es bei den Wanderwegschildern im Gegensatz zu den Strassenverkehrsschildern keine international einheitliche Norm gibt. Die knallige Farbe der Schweizer Schilder ist visuell vorteilhaft, die Kilometer-Angabe in Frankreich, Deutschland oder österreich objektiv. Ich entscheide mich einfachheitshalber, von jetzt dem verkehrsarmen Strässchen bis zum Lac des Rousses zu folgen. Übrigens: Die Wegzeit von Les Brassus bis Bois d’Amont beträgt 2 Stunden 30 Minuten.

Bis zum See muss auf dem Strässchen noch mit zwei Stunden gerechnet werden. Die Orbe beginnt ihren Lauf mit dem Abfluss vom Lac de Rousses, der viel kleiner ist als der Lac de Joux. Der Lac de Rousses wird durch kleine Quellbäche gespiesen. Der bekannteste ist der „Le Bief Noir“. Aussergewöhnlich ist, dass die Orbe zwischen dem Lac de Rousses und dem Lac de Joux ungehindert und frei fliessen darf. Sie mäandriert in unzähligen kleinen Schlingen entlang dem Tal. Sie ist von einem breiten Streifen Riedland gesäumt. Hier kann beobachtet werden, wie eine unberührte, naturbelassene Flusslandschaft aussieht. Auf der französischen Seite zieht sich der Wald Grand Risoux entlang und auf der schweizerischen der Noiremont. Beim See taucht die La Dôle mit ihrer markanten Kuppel auf.

Ich steige zum gekiesten Uferweg des Lac de Rousses ab und geniesse die Sonnenstrahlen, die mich auf meiner ersten Wanderung auf französischem Boden empfangen haben. Ein Ehepaar kommt vorbei und der Mann fotografiert mich vor dem Quell-See der Orbe. Das Paar lebt auf der französischen Seite nahe von Genf. Danach gelange ich bald in den Touristenort von Les Rousses. Das ganze Tal von Le Brassus bis nach Les Rousses ist eine Wintertourismus-Destination. Es gibt Skilifte, aber Langlauf scheint vorzuherrschen. Ich zweifle, ob es eine grenzüberschreitende, touristische Zusammenarbeit gibt, denn es besteht keine OeV-Anbindung. Zwischen Bois d’Amont und Les Rousses sind zahlreiche Bushaltestellen markiert. Ich erfahre von den Einheimischen, dass nur während der Wintersport-Saison ein Skibus betrieben wird. Dies bedeutet für mich, dass ich auch die etwa zweieinhalb Kilometer vom Zentrum von Les Rousses zur Grenze bei La Cure und zur Schweizer Bahnverbindung zu gehen habe. Der belebte Flecken kennt keinen Ortsbus. Wer keinen fahrbaren Untersatz hat, muss in dieser französischen Randregion offenbar zu Fuss gehen.

Dafür erlebe ich, was der Spruch „Leben wie Gott in Frankreich“ bedeutet. Ich besorge mir in Les Rousses die beste Vesper für meine lange, nächtliche Heimreise. In der Bäckerei kaufe ich eine knusprige Vollkorn-Baguette. Das Bäckers-Paar empfiehlt mir auf meine Nachfrage den nahen Delikatessen-Laden. Dort weckt eine Art Salami-Wurst aus Entenfleisch meine Neugier. Gekauft! Dazu kommt noch ein feiner Bio-Käse sowie eine Flasche Cidre. Beide Läden liegen nahe dem Kasino. Gut verproviantiert kann ich während der langen Fahrt von Lausanne nach Zürich die Orbe sowie meine erste französische Wanderung gebührlich feiern. Nun muss ich nur noch die lang gezogene Rue Royale bis zur Grenze und zur Schweizer Bahnstation hinaufsteigen. Ich erhasche noch einen Blick zum Fort, das 1815 errichtet wurde und in dem heute ein Käselager ist. Noch sind die Leute in den Strassencafés von Les Rousses gesessen, doch jetzt senkt sich der Nebel wieder über die Landschaft und deckt Noiremont wie La Dôle zu. Es weht ein kühler Herbstwind. Nur Gott kann auf die Dauer gut in Frankreich leben. Er ist nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen.
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