Sitter Logbuch
von Liliane Waldner
Einführung in die Sitter
Die Sitter misst eine Länge von 49 km. Sie entsteht aus einem Zusammenfluss der Quellbäche Wissbach, Schwendibach und Brühlbach auf 812 m.ü.M. in Weissbad. Sie mündet auf 461 m.ü.M. bei Bischofszell in die Thur. Die Sitter fliesst durch die beiden Appenzell sowie die Kantone St. Gallen und Thurgau.
Bemerkung: Ich habe erst mit fotografieren begonnen, nachdem mir der Postauto-Chauffeur auf der Fahrt von St. Gallen nach Wittenbach dazu geraten hat. Die Bilder der Sitter/Thurmündung habe ich in einer späteren Begehung gemacht.
Mehr über die Sitter auf:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sitter
1. April 2012: Bischofszell - Wittenbach
Die Sitter mündet bei Bischofszell in die Thur. Weil ich flussaufwärts wandere, ist Bischofszell der Startort. Bischofszell bietet mehr als eine Konservenfabrik. Bischofszell gilt als Rosenstadt und ist bekannt für seine schmucke Altstadt samt Rokkoko-Rathaus. Ende Juni taucht Bischofszell anlässlich des Rosenmarktes ganz in Rosen. Im Frühling findet auf der Sitter das Mammutflossrennen statt. Die mittelalterliche Steinbrücke über die Thur ist sehenswert.
Vom Bahnhof aus will ich zuerst einen Blick Richtung Sittermündung werfen und steige die Strasse stadtabwärts Richtung Nordteil von Bischofszell. Bald erreiche ich die Sitterbrücke. Leider gibt es im Mündungsgebiet keinen Flussweg. Ich laufe ein Strässchen und einen Weg flussaufwärts, muss dort aber wieder wenden. Hangaufwärts gelange ich auf einen Wanderweg. Am einfachsten wäre es gewesen, vom Bahnhof einfach dem Wanderwegschild Richtung Eberswil, Tobelmühle, Gertau zu folgen.
In Gertau gibt es eine Fähre sowie eine Besenbeiz. Wer der Sitter genau folgen will, wählt den Weg Richtung Muolen. Ich steige Richtung Bernhardszell via St. Pelagisberg auf. Dort befinden sich eine Wallfahrtskirche, ein Kur- und Exerzitienhaus sowie ein Restaurant der gehobenen Klasse. Vom Pelagisberg reicht der Blick zum Bodensee sowie bei Klarsicht in die Alpen. Dieser Aufstieg lohnt sich. Auf dem Weg ist an der Sitter auch die Ruine Alt Ramschag sichtbar.
Vom Pelagisberg geht der Weg nach Bernhardszell. Nach mehreren Minuten erreiche ich einen Weiler. Das Thurgauer Wanderwegschild gibt Richtung Winterberg, Bernhardszell an. Im nächsten Weiler steht ein St. Galler Wanderwegschild, welches nach Tannenberg, Engelsburg, St. Gallen zeigt. Ich bin verwirrt und frage mich, ob ich etwas übersehen habe. Ich laufe wieder zurück, aber es ist kein Irrtum meinerseits auszumachen. Die Wanderwegschilder spielen nur 1. April mit mir. Nahe Bernhardszell passiert der Wanderweg einen Truppenübungsplatz. Die Schlagbäume lassen vermuten, dass der Weg werktags gesperrt sein könnte und ein Umweg gemacht werden müsste, wenn das Militär übt.
Trotz des Aprilscherzes der Wanderwegschilder komme ich in Bernhardszell an. Die frisch renovierte Barock-Kirche muss unbedingt besichtigt werden. Ich bin allein drinnen und nutze die Stille an diesem erhabenen Ort zu einem Gebet.
Von Bernhardszell gehe ich zur Sitter hinab und über die gedeckte, hölzerne Wannenbrücke. Dort führt der Sitter Strandweg nach St. Gallen. Einige Minuten oberhalb der Wannenbrücke befindet sich ein grosser Rastplatz, der für eine Gesellschaft geeignet ist. Ich marschiere bis zur Leebrugg. Der Strandweg zeichnet sich durch eine Vielzahl kurzer, steiler Auf- und Abstiege aus. Die Sitter fliesst in einem naturnah gehaltenen Bett. Riedpflanzen säumen das Ufer. An einem Ort ist der Weg abgerutscht und es muss ein Umweg gemacht werden. Bei der Leebrugg steige ich nach Wittenbach auf. Dort erwische ich sogleich ein Postauto zum Bahnhof St. Gallen.
Links zu weiterführenden Informationen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Sitter
http://www.stpelagiberg.ch/
http://www.hikr.org/tour/post19802.html
10. Mai 2012: Wittenbach - Störgl (Haggenbrücke)
Ich fahre mit dem Postauto vom Bahnhof St. Gallen zur Bushaltestelle Bächi in Wittenbach. Vom Buschauffeur habe ich erfahren, dass dies die näheste Haltestelle zur Leebrugg ist.
Ich steige einen asphaltierten Weg hinab und fädle unter der Leebrugg wieder ein. Der Sitterstrandweg ist gleichzeitig St. Galler Brückenweg. Unterhalb des EW Erlenholz wird die Landschaft als Sitter-, Wattbachtal-Landschaft bezeichnet. Die Sitter kringelt sich in engen Schleifen durch eine relativ naturbelassene Landschaft. Ich passiere Erlenholzbrücke und danach den Hätterensteg, Am anderen Ufer ragen streckenweise steile Sandsteinwände in die Höhe. Bei der Spisegg wechsle ich das Ufer und bei der nächsten Brücke geht es wieder auf die ursprüngliche Seite.
Ich höre den Autobahnlärm bevor ich die Autobahnbrücke unterschreite. Erinnerungen an meine automobilistische Zeit mit Kaffeehalten bei der Autobahnraststätte Sittertal tauchen in mir auf. Ansonst spüre ich im tief eingeschnittenen Sittertobel nicht, dass oben eine grössere Schweizer Stadt liegt. Vielleicht ist deshalb das Sittertobel für das sommerliche Open-Air geeignet. Die laute Musik dringt ebenfalls nicht hinauf. Eine der Brücken im Sittertal dient als Aquädukt für das Abwasser. Ein breiter Weg zieht sich durch den Rechenwald und mündet in einer Strasse zum Heizkraftwerk von St. Gallen, das aus Abfall Wärme produziert. Hinter der Kehrichtverbrennungsanstalt wird ein grosser Bauplatz für Geothermiebohrungen vorbereitet. Ich wechsle bei der Rechenwaldbrücke wieder die Seite, folge dem Strässchen etwas hangaufwärts Weil ich am Ende der Brücke gespannt herumblicke, um zu sehen, wo der Weg wieder zur Sitter geht, übersehe ich eine kleine Senkung am Brückenende und lande auf dem Asphalt. Am Ellenbogen ist ein Hautblätz weg und es blutet. Ich lasse es sein und marschiere weiter. Nach dem Rechenwald kommt ein Aquädukt, der Abwasser führt. Vom Strässchen geht es in einen Naturweg zur Sitter hinunter, über einen Steg zum Gewerbeareal Sittertal. Dort sind in historischen Fabrikgebäuden neue Betriebe angesiedelt worden. Bald danach ist Zeit für meine Teerast und ich träufle Merfen auf die Wunde, lasse sie aber offen, weil das Blut nicht fliesst.
Danach marschiere ich weiter und passiere die Brücke bei St. Gallen Stocken. Über die kurz danach kommende Eisenbahnbrücke rollt eine ICN-Komposition. Die mächtige Eisenbrücke dahinter dient der Bodensee-Toggenburg-Bahn. Das Strässchen führt zum Kraftwerk Kubel der St. Gallen Appenzellischen Kraftwerke. Auf der gegenüberliegenden Flussseite liegt eine mächtige Flusskaverne des Druckleitungskraftwerkes. Hinter dem Kraftwerk mündet die Urnäsch in die Sitter. Bei der Mündung überbrücken zwei gedeckte Holzbrücken die Sitter und die Urnäsch. Dort endet der Sitterstrandweg. Ich habe dies bei der Planung auf der Karte gesehen und Einheimische bestätigen es mir. Danach gibt es auf langer Strecke keinen Uferweg mehr.
Ich überquere die Brücke und gelange in den Kanton Appenzell-Ausserrhoden. Auf einem kleinen, steilen Strässchen gelange ich zur Zeit der Mittagshitze zum Weiler Störgel. Vor mir taucht die hügelige Appenzeller Landschaft auf und dahinter thront der Säntis. Ich muss heute zeitig nach Hause, weil abends ein gesellschaftlicher Anlass samt Führung durch Alex Rübel im Zürcher Zoo stattfindet. Bei einem Appenzeller Haus erblicke ich einen Mann hinter dem Fenster und frage ihn nach der nächsten Bushaltestelle. Er rät mir, über die Haggenbrücke zur Bushaltestelle zu gehen. Das schmucke Appenzeller Haus beherbergt das Restaurant Schäfli, welches nur am Wochenende geöffnet ist und kulinarische Thementage anbietet. Die Fussgängerbrücke schwingt sich in kühner Höhe über die Sitter und bietet einen atemberaubenden Tiefblick zur Sitter. Der Steg ist einer der höchsten in Europa. Die Sitter führt oberhalb des EW’s deutlich weniger Wasser. Die Uferlandschaft ist wild und schroff. Das Flussbett ist mit Felsblöcken durchsetzt. Haggen hat ein Schloss, weshalb die Bushaltestelle Schlössli heisst. Der Bus bringt mich zum Hauptbahnhof St. Gallen. Dort lasse ich meine Wunde in der Rathausapotheke beim Bahnhof befinden, bevor es nach einem Besuch bei der Bäckerei Roggweiler auf den Zug geht. Ich ärgere mich über meinen unnötigen Sturz, weil ich meiner Neurologin Dr. Adriana Schmid am Dienstag darauf gerne berichtet hätte, dass ich seit meinem letzten Sturz im Herbst nun praktisch ein halbes Jahr lang sturzfrei geblieben bin.
Das Gourmet-Restaurant Schäfli im 200 Jahre alten Appenzellerhaus bietet sicher ein besonderes Erlebnis, zu dem ein gut gefülltes Portemonnaie mitgenommen werden sollte.
Links:
https://www.walter-kalt.ch/Wandern/1_wandern/fluss/sitter/brueckenweg.html
https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/natur-landschaft/schutzverordnung.html
https://www.sak.ch/ueber-sak/standorte/wasserkraftwerke/kw-kubel
Auffahrtstag 2012: Schlössli St. Gallen - Weissbad
Es ist der kälteste Maimorgen, den ich erlebt habe. Am Vorabend hat es noch bis 600 Meter hinab geschneit. Ich bin dementsprechend winterlich ausgerüstet. Frau Dr. Adriana Schmid ist trotz meines Sturzes vor einigen Tagen mit meinen Fortschritten zufrieden gewesen. Der Sturz ist mit ihr und meinen Therapeutinnen Frau Haus und Frau Artemisio thematisiert worden. Ich muss trotz besserem Gangbild konzentriert bleiben. Frau Dr. Schmid rät zu mehr Stretching für die Beinmuskulutar hinter den Knien, also Finger zu Zehenspitzen strecken und halten. Bleiben, leiden, ist ihr Rat. Dies ist meine Schwäche, aber ich werde in meinem täglichen Morgentraining daran arbeiten. Es hilft, mich vor Verletzungen besser zu schützen.
Der Himmel ist blau und die Sonne sowie das Gehen wärmen bald etwas. Bald bin ich vom Schlössli über den Steg Haggen - Störgel wieder vor dem Appenzellerhaus des Restaurants Schläfli. Feldgraue Swissness marschiert in Kompaniestärke an mir vorbei. In St. Gallen beginnt übrigens auch der Solarweg bis zur Hundwilerhöhe.
Bald erreiche ist das Dorfzentrum von Stein mit seinen traditionellen Appenzellerhäusern. Das Appenzeller Volkskundemuseum samt Schaukäserei sind in modernen Gebäuden untergebracht. Zur Schaukäserei gehören auch ein Restaurant und Laden. Ich bin froh, dort ein sauberes WC besuchen zu können.
Danach geht der Weg über steile Grashänge hinab. Eigentlich führt der Wanderweg von Stein via Engenhütten in drei Stunden nach Appenzell. Wegen der steilen, etwas glitschigen Hänge vermeide ich diese Route. Stellenweise liegt noch etwas Schneeflaum auf der Spur. Ich steige zur Sitter ab, quere dort einen Steg. Die Sitter fliesst dort als Alpenbach durch eine enge, steile Schlucht. Ich steige nicht ganz nach Haslen auf und zweige nach rechts bis zum Weiler Büel. Von dort gelange ich auf die an diesem Feiertag nur mässig befahrene Nebenstrasse nach Appenzell. Ich folge ihr bis Unterschlatt und habe stets den Säntis vor mir. Nun kann ich Tempo machen und die verlorene Zeit durch meine vorherigen Koordinationsanstrengungen etwas kompensieren. Unterwegs komme ich an einem abenteuerlich konzipierten Schiesstand vorbei. Ich höre das Knallen des Feldschiessens schon von weitem, aber plötzlich befinde ich mich quasi mitten im Feuer, ebenfalls eine Gruppe von drei Fussgängern, die mir auf der anderen Strassenseite entgegenkommen. Die Strasse liegt genau zwischen dem Schiesstand und den Zielscheiben am Hang oben. Die Kugeln flitzen über die Köpfe, Autodächer und Motorradhelme hinweg.
Ab Unterschlatt komme ich wieder an den Wanderweg und zur Sitter hinab. Bei einem alten Bauernhaus finde ich die Sitzbänke samt dem Holztisch für meine Teerast unwiderstehlich. Es ist niemand da, also sitze ich ab und packe aus. Ich geniesse die Aussicht Richtung Appenzell und Säntis. Bald schreitet eine ältere Frau, ihr Fahrrad stossend, direkt auf das Haus zu. Ich entschuldige mich, aber sie antwortet freundlich: „Machen sie nur weiter.“ So kommen wir in ein unterhaltsames Gespräch und sie gibt mir Ratschläge für den Weitermarsch nach Weissbad.
Eingangs Appenzell passiere ich das Industriegebiet. Die Appenzeller Trendmarken Flauder und Appenzeller Bier haben dort ihre Logistikstützpunkte. Die Brauerei liegt jedoch fast im Zentrum mit dem grossen Parkplatz an der Sitter. Sinnigerweise liegt zwischen der Brauerei und dem Gebäude der Appenzeller Alpenbitter eine Kneipanlage. In Appenzell werde ich auf einen Kapellenweg aufmerksam. Ebenso schneide ich manchmal den Appenzeller Kulturweg.
In Appenzell werden Erinnerungen an eine Frauenlandsgemeinde wach, die ich vor Jahrzehnten angeregt habe. Die Appenzellerinnen mussten sehr lange auf ihr Stimmrecht warten. Ich schrieb der damaligen Sekretärin der SP Frauen einen flammenden Brief und verlangte, dass die SP ihre Frauenkonferenz mitten in diesem Widerstandsnest gegen das Frauenstimmrecht abhalten soll. Dies wurde umgesetzt und mit der ersten Frauenlandsgemeinde auf dem Landsgemeindeplatz von Appenzell verbunden. Die Zürcher Ständerätin Emilie Lieberherr hatte dort ein Streitgespräch mit dem damaligen Kantonsgerichtspräsidenten. Der legendäre Ständerat Brogli war im Ausland, aber es hiess, er sei ein Befürworter des Frauenstimmrechts gewesen. Dank Emilie Lieberherr wurde es trotzdem ein mediales Ereignis.
Die restlichen etwa ein einviertelstunden Marschzeit nach Weissbad waren bequem. Dort vereinen sich unter dem auf einem Hügel stehenden Hotel Belvedere der Brüelbach und Schwendibach zur Sitter, der sich beim unteren Ortsausgang der Wissbach anschliesst. Nun ist es Zeit, einen Vesperteller samt Quöllfrisch auf der Terrasse des Hofweissbad zu geniessen. Hofweissbad betreibt eine Schaukäserei.
Entlang der Strecke befinden sich diverse Einkehrmöglichkeiten. Jene in Stein habe ich bereits erwähnt. In Appenzell kenne ich das Hotel Säntis beim Landsgemeindeplatz sowie das Café Fässler. Neben dem Hofweissbad gibt es in Weissbad für den Geldbeutel günstige Einkehrgelegenheiten.
Grosse Rastplätze mit etlichen Sitzbänken, Tischen und Feuerstellen liegen unterhalb der ARA beim Ortsteil Mettlen von Appenzell sowie am Sitteruferweg zwischen Steinegg und Weissbad. Der ebene Wanderweg entlang der Sitter bei Appenzell sowie Weissbad kann auch von Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern absolviert werden.
Links:
http://www.appenzeller-museum-stein.ch/
https://www.schaukaeserei.ch/de/
https://www.hofweissbad.ch/
https://appenzellerland.ch/de/erleben/wandern-bewegen/sommer/wanderrouten/kulturspur.html
http://www.hikr.org/tour/post48029.html